Stress ist eine natürliche Reaktion unseres Körpers, die uns hilft, auf Herausforderungen zu reagieren. Doch nicht jeder Stress ist gleich und auch nicht jede Reaktion auf Stress verläuft gleich. Je nach Intensität und Dauer verändert Stress die Funktion verschiedener Gehirnareale, was sich unmittelbar auf unser Verhalten, unsere Emotionen und unsere Gesundheit auswirkt. In diesem Beitrag erfährst du, wie sich leichter, starker, chronischer und überfordernder Stress auf das Gehirn auswirken und wie du damit umgehen kannst.
Leichter Stress: Aktivierung und verbesserte Leistungsfähigkeit
Leichter Stress gehört zum Leben und kann sich positiv auf unseren Organismus auswirken. Er gibt Signale an unseren Organismus, dass eine Anpassung nötig ist – sowie unsere Muskeln bei geeignetem Training das Signal bekommen, dass sie gebraucht werden und stärker werden sollen. Ohne solche Signale würden wir mit der Zeit an Leistungs- und Widerstandsfähigkeit einbüssen.
Wenn wir eine Herausforderung meistern müssen, der wir uns grundsätzlich gewachsen fühlen, setzt das Gehirn Botenstoffe wie Dopamin und Noradrenalin frei. Die Amygdala, das Angst- und Emotionszentrum, wird moderat aktiviert, während der präfrontale Kortex, der für Planung und Konzentration zuständig ist, effizienter arbeitet: Wir fühlen uns motiviert, fokussiert und leistungsfähig.
Gehirnareale, die hier aktiv sind:
- Präfrontaler Kortex: Verbesserte Konzentration und Problemlösung.
- Hippocampus: Erinnerungsleistung steigt, Informationen werden besser gespeichert.
- Amygdala: Moderat aktiviert, fördert Wachsamkeit.
Alltagsauswirkung:
- Du kannst dich besser auf Aufgaben konzentrieren.
- Die Motivation steigt, du fühlst dich angespornt.
- Nach der Anspannung folgt eine Phase der Erholung.
Was hilft?
- Bewegung, um überschüssige Energie abzubauen.
- Kleine Entspannungspausen zur Regulation – hier können schon Mikropausen von 30sek – 1min wahre Wunder wirken.
- Regelmässige grössere Pausen zur Regeneration.
Starker Stress: Kampf- oder Fluchtreaktion
Wird die Herausforderung grösser, reagiert das Gehirn mit einer stärkeren Aktivierung des Sympathikus – die sogenannte „Fight-or-Flight“-Reaktion tritt ein. Die Amygdala übernimmt die Kontrolle und übersteuert den präfrontalen Kortex. Das bedeutet, dass unser rationales Denken eingeschränkt ist, während Reflexe und Instinkte dominieren. Evolutionär ist diese Reaktion sehr sinnvoll: in akuten Gefahrensituationen bleibt keine Zeit, lange über unsere Handlungen nachzudenken; die Instinkte sind schneller und sparen Energie. Diese Reaktion unseres Nervensystems erklärt auch den berühmten „Prüfungsblackout“.
Gehirnareale, die hier dominieren:
- Amygdala: Hochaktiv, löst starke emotionale Reaktionen aus.
- Hypothalamus: Stimuliert die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin.
- Präfrontaler Kortex: Wird teilweise gehemmt, logisches Denken wird schwerer.
Alltagsauswirkung:
- Körper ist angespannt, Puls steigt, Atmung beschleunigt sich.
- Entscheidungen werden impulsiv getroffen.
- Emotionen, vor allem Ärger oder Angst, dominieren das Verhalten.
Was hilft?
- Achtsamkeits- und Atemtechniken zur Aktivierung des Vagusnervs.
- Bewusste und ggf. intensive Bewegung, um Stresshormone abzubauen.
- Orientierung im Hier und Jetzt.
- Klare Handlungsstrategien, um impulsive Reaktionen zu vermeiden.
Chronischer Stress: Das Gehirn gerät aus dem Gleichgewicht
Hält Stress über längere Zeit an, verändert sich das Gehirn strukturell. Der Hippocampus, der für Gedächtnis und Lernen zuständig ist, wird durch das Dauerfeuer an Stresshormonen geschwächt. Die Amygdala wächst und wird empfindlicher, während der präfrontale Kortex weiter an Einfluss verliert.
Gehirnareale, die hier betroffen sind:
- Hippocampus: Schrumpft, Gedächtnisleistung nimmt ab.
- Amygdala: Bleibt dauerhaft überaktiv, Angst und Unsicherheit nehmen zu.
- Präfrontaler Kortex: Wird weiter gehemmt, Selbstkontrolle und Planung fallen schwerer.
Alltagsauswirkung:
- Konzentrationsprobleme und Vergesslichkeit nehmen zu.
- Emotionale Erschöpfung, Reizbarkeit und Nervosität.
- Körperliche Beschwerden wie Muskelverspannungen, Schlafstörungen oder Verdauungsprobleme.
Was hilft?
- Regelmässige Atemtherapie zur Regulation des Nervensystems.
- Achtsamkeitsübungen zur Stärkung des präfrontalen Kortex.
- Bewegung und soziale Unterstützung, um den Hippocampus zu schützen.
- Bewusstes Wahrnehmen des eigenen Körpers.
- Auflösen bzw. Beenden der stressauslösenden Situation. In manchen Fällen kann das eine grössere Veränderung im Leben, etwa einen Jobwechsel, bedeuten.
Überfordernder Stress: Dissoziation und Abschalten
In extremen Stresssituationen, wenn Kampf oder Flucht nicht mehr möglich sind, greift der dorsale Vagusnerv ein und versetzt den Körper in eine Art Notabschaltung. Die Folge ist Dissoziation: Betroffene fühlen sich abgekoppelt von ihrer Umgebung, emotional taub oder sogar bewegungsunfähig.
Gehirnareale, die hier betroffen sind:
- Dorsaler Vagusnerv: Leitet den Körper in einen Schutzmodus, der Erstarrung oder emotionale Taubheit auslöst.
- Amygdala: Kann paradoxerweise überaktiv sein, aber nicht mehr bewusst spürbar.
- Präfrontaler Kortex: Starke Hemmung, logisches Denken und Emotionen sind kaum zugänglich.
Alltagsauswirkung:
- Gefühl der emotionalen Taubheit, Abgeschnittenheit von der Umwelt oder „nicht richtig anwesend sein“.
- Verlust des Zeitgefühls, Schwierigkeiten, einfache Entscheidungen zu treffen.
- In extremen Fällen körperliche Starre oder der Eindruck, sich von aussen zu beobachten
Was hilft?
- Ein geschützter Rahmen, welcher dem Nervensystem Sicherheit vermittelt.
- Körperliche Selbstwahrnehmung, um die Taubheit zu durchbrechen.
- Aktivierung des Sympathikus mittels gezielter körperlicher Übungen.
Bei Dissoziationen ist eine Begleitung durch Fachpersonen sehr empfehlenswert.
Stress verstehen – und gezielt gegensteuern
Stress ist nicht per se schlecht – er hilft uns, Herausforderungen zu meistern. Doch wenn er anhält oder überwältigend wird, verändert er unser Gehirn und unser Verhalten. Je nachdem, ob es sich um leichten, starken, chronischen oder überfordernden Stress handelt, benötigen wir unterschiedliche Strategien zur Regulierung.
Die Atemtherapie kann dabei ein wertvolles Werkzeug sein, um das Nervensystem gezielt zu beeinflussen und aus dem heute leider alltäglichen Dauerstress auszusteigen. Mehr dazu findest du in verschiedenen Blogposts und auf der Unterseite zur Atemtherapie.