Wenn Worte allein nicht reichen
Häufig melden sich Klient:innen bei mir und sagen, dass sie in der Psychotherapie mit den Themen ihrer Traumatisierungen irgendwie nicht mehr weiterkommen. Sie hätten vieles verstanden, wüssten, woher ihre Probleme kommen, und doch könnten sie gewisse Verhaltensmuster im Alltag einfach nicht ändern. Oder ihre Symptome nehmen nicht weiter ab – Anspannung, Ängste oder Taubheitsgefühle bleiben beharrlich bestehen. Genau hier setzt die körperorientierte Traumatherapie an.
Denn Trauma betrifft nicht nur die Psyche. Trauma sitzt im Körper, im Nervensystem, in der Atmung, in Muskelspannungen. Das Nervensystem ist festgefahren in der Stressreaktion – und „nur durch reden“ lassen sich diese Ebenen oft nicht vollständig vom Stress befreien. Der Einbezug des Körpers ist dann nötig, um die noch vorhandenen Blockaden zu lösen.
Warum Körper und Nervensystem bei Trauma so wichtig sind
Die Polyvagaltheorie von Stephen Porges liefert ein anschauliches Modell, warum wir bei Belastungen und Trauma nicht „einfach umschalten“ können. Unser autonomes Nervensystem steuert, ob wir uns sicher, angespannt oder erstarrt fühlen.
- Im ventral-vagalen Zustand erlebst du Sicherheit, Verbundenheit und Ruhe.
- Im sympathischen Zustand bist du im Stressmodus: Herz und Atem beschleunigen, der Körper bereitet sich auf Flucht oder Kampf vor.
- Im dorsal-vagalen Zustand fährst du herunter, fühlst dich kraftlos, abgespalten oder wie betäubt.
Bei Trauma bleibt das Nervensystem oft in einem dieser Zustände „stecken“. Selbst wenn du im Kopf weisst, dass keine Gefahr besteht, signalisiert dein Körper etwas anderes.
Wie körperorientierte Traumatherapie wirkt
In der körperorientierten Traumatherapie arbeiten wir direkt mit deinem Nervensystem. Über Achtsamkeit, positive Erfahrungen und gezielte Übungen lernst du, wieder in Verbindung mit deinem Körper zu kommen. Wir erarbeiten gemeinsam Werkzeuge, die dir helfen, dich selbst zu regulieren, innere Sicherheit aufzubauen und neue Erfahrungen von Lebendigkeit zu machen.
Dein Nervensystem kann so lernen, dass die Welt heute wieder sicher ist. Alter Stress wird in kleinen, achtsamen Schritten entladen und aufgelöst. Dadurch wird eine Rückkehr in einen entspannten Zustand wieder möglich. Schritt für Schritt entwickelst du die Fähigkeit, dein Nervensystem zu beruhigen und Ressourcen aufzubauen. So kann Heilung ganzheitlich stattfinden – im Kopf, im Körper und in der Seele.
Warum eine Kombination so wertvoll ist
Gesprächstherapie und körperorientierte Traumatherapie ergänzen sich ideal. Während Gespräche dir helfen, Klarheit und Bewusstsein zu entwickeln, ermöglicht die körperorientierte Arbeit,
- unbewusste Muster im Körper zu spüren,
- neue Erfahrungen von Sicherheit und Selbstwirksamkeit,
- schwierige Gefühle zu entladen, anstatt sie immer wieder durchleben zu müssen,
- eine tiefere Integration von Körper und Psyche.
Gerade dann, wenn klassische Psychotherapie an Grenzen stößt, bietet der körperorientierte Ansatz neue Möglichkeiten.
Heilung braucht Kopf und Körper
Trauma ist nicht nur ein psychisches, sondern auch ein körperliches Geschehen. Wenn du das Gefühl hast, in der Therapie nicht weiterzukommen, kann körperorientierte Traumatherapie eine wertvolle Unterstützung sein.
Dein Körper trägt die Spuren deiner Geschichte – aber auch das Potenzial zur Heilung. Indem du lernst, dein Nervensystem zu regulieren und Atem und Körper als Ressource zu nutzen, eröffnen sich neue Wege zu Lebendigkeit, Vertrauen und innerer Ruhe.
Weiterführende Links:
https://www.health.harvard.edu/blog/what-is-somatic-therapy-202307072951?utm_ – ein Artikel zu somatischer Therapie bei Trauma (englisch)
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5489867/?utm_ diese Studie untersucht, wie sich Somatic Experiencing (SE) auf die Kombination von Schmerzen und Traumafolgen auswirkt. SE und Atemtherapie ähneln sich sehr stark in den Methoden und eingesetzten Interventionen, daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ergebnisse auf eine traumainformiert durchgeführte Atemtherapie übertragen werden können.
Lesenswert: „Verkörperter Schrecken“ von Bessel van der Kolk, einem der führenden Trauma-Experten unserer Zeit. Ein grosses und komplexes, aber wirklich aufschlussreiches Buch!
